11.09.2024

Wie läuft ein Schafabtrieb in Island ab?

Eine große Gruppe an Schafen drängen sich eng aneinander. Tobias Ohmann
Eine große Gruppe an Schafen drängen sich eng aneinander.

Die Tage werden kürzer, die Heide wird bunt und über dem nächtlichen Himmel ziehen die ersten Polarlichter. Mit dem September beginnt in Island auch die Zeit des Schafabtriebs. Vielleicht habt ihr es schon einmal miterlebt, wenn ihr in dieser Zeit auf der Nordinsel unterwegs wart. Es ist ein großes Get Together, sozusagen ein Familien- und Nachbarsfest. Unsere Islandspezialistin Maria war einmal zu so einem Schafabtrieb eingeladen und plaudert heute aus dem Friesennerz, was sie da erlebt hat  …

Liebe Nordlandfreunde,

es ist wirklich etwas besonderes, wenn man in Island zu einem Event wie dem jährlichen Schafabtrieb eingeladen wird oder eben in meinem Fall gefragt wird, ob man mithelfen kann. Ich darf seit meinem dreijährigen Aufenthalt auf der Insel eine liebe und ein bisschen chaotische Familie meine Freunde nennen und hab mich gefreut, als ich damals zu diesem speziellen Event eingeladen wurde. Aber erstmal der Reihe nach …

Was ist das Réttir?

Im Spätsommer oder im frühen Herbst, bestenfalls bevor es in den Bergen den ersten Schnee gibt, findet der sogenannte Schafsabtrieb bzw. „Réttir“ statt. Die Schafe werden nämlich im Frühjahr, wenn die Lämmer alle auf die Welt gekommen sind, den Sommer über in die Berge getrieben. So können sie selbstständig das saftige Gras finden und sich den ganzen Sommer über den Bauch vollschlagen. Dabei sind sie die ganze Zeit an der frischen Luft und Wind und Wetter ausgesetzt. Sind die Lämmer am Anfang des Sommers, also etwa Ende Mai/Anfang Juni noch recht klein, wundert man sich zu dieser Zeit öfter über die kleinen 3er-Grüppchen an Schafen, die unterwegs sind. Oft handelt es sich dabei um eine Mutter mit ihren zwei schon recht groß gewordenen Kindern.

Der Schafabtrieb ist eine jahrhundertealte Tradition, bei der die isländischen Bauern und ihre Helfer die Schafe zusammentreiben und in die Ställe zurückbringen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten eines Réttirs. Entweder mehrere Bauern treffen sich und treiben alle Schafe die sie finden zusammen in eine Sortieranlage aus Steinen oder Holz, das traditionelle Réttir. Dort kann dann jeder Bauer seine eigenen Schafe finden und mit nach Hause nehmen. Oder man wohnt eh weitab anderer Menschen und holt nur die eigenen Tiere von den Bergen direkt in den Stall.

Wie läuft so ein Réttir ab?

Als ich zum Schafabtrieb in die Westfjorde eingeladen wurde, nahm ich möglichst warme und olle Klamotten mit. Bei „meiner“ Familie angekommen, wurden wir alle mit noch mehr warmen und ollen Klamotten eingedeckt. Ich habe eine leuchtend orange Jacke von 66North bekommen, die mich trocken und warm halten sollte. Ich hatte mir meine Wanderschuhe mitgebracht. Denn wir holten die Schafe zu Fuß von den Bergen. Oft werden sie auch zu Pferd oder mit dem Quad bewegt. Dann bekamen wir und die anderen circa 20 Helfer Walkie Talkies pro Gruppe (der Empfang für Handys dort in der Ecke war kaum vorhanden) und Anweisungen wo wir uns aufstellen sollten und wann wir uns bewegen dürfen (erst wenn jemand „go“ sagt).

Das Wetter war wirklich furchtbar. Am Anfang noch trocken, aber windig bis es die ganze Zeit über genieselt hat. Es ging ins unwegsame Gelände, nur die von den Schafen zertrampelten Wege konnten wir nutzen. Und dann wurde mir und einem anderen Helfer signalisiert, dass wir uns an einer bestimmten Stelle hinhocken und auf das Signal warten sollten. Wir hatten natürlich die Walkie Talkies getestet, die hatten Zuhause auch noch gut funktioniert. Naja, hatten sie. Ich kann mich kaum noch erinnern wie lange wir da hockten. Ich schätze es waren mindestens 2 Stunden.

Man muss wissen, dass Schafe sehr sensibel auf Bewegungen in den Bergen reagieren. Wenn man sich in einem falschen Winkel ihnen nähert, kann es passieren, dass sie auseinander rennen. Das ist wohl ein paar Mal passiert. Aber zum Glück nicht uns. Denn der Schafsabtrieb ist auch eine emotionale Sache. Läuft es nicht so wie es soll, kann es ganz schön lange dauern, es wird geschrien und gefuchtelt. Wir sahen irgendwann die Schafe von weitem ziehen, erhielten aber keinerlei Signal und konnten mit den Geräten auch niemanden erreichen. Irgendwann gingen wir eigenständig zurück zur Farm, wo alle schon dabei waren, sich über die heiße Kjötsupa der Großeltern herzumachen. Und ich glaube das ist der Moment, in dem alle verpatzten Zusammentreibungen wieder vergessen sind: wenn alle Schäfchen im Trockenen und die heiße Suppe im Magen ist. Natürlich haben alle zusammen gesungen mit ihren vor Kälte und Anstrengung roten Gesichtern. Wir hatten auch ein paar Schafe eines anderen Bauern mit ins Tal gebracht. Die holte er eine Woche später von der Farm ab.

Es war auf jeden Fall ein tolles authentisches Erlebnis, bei so einem Schafabtrieb dabei zu sein. Das Landleben in Island ist hart, Wind und Wetter sind erbarmungslos und die wunderschönen Berge strotzen nur so vor Einsamkeit und Schroffheit.

Haltet bei euren Aufenthalten in Island zu dieser speziellen Jahreszeit doch mal die Augen auf. Vielleicht entdeckt ihr so einen Schafabtrieb. Als Zaungast oder Bobachter dabei zu sein ist auch schon aufregend!

Habt ihr im Herbst oder auch zu anderen Jahreszeiten Lust nach Island zu reisen? Hier findet ihr unsere Islandreisen. Meldet euch gern bei uns für eure Reisewünsche.

Maria vom contrastravel-Team

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