Einblick in die nordische Mythologie - Monster
Während die Göttergemeinschaft aus den bisher vorgestellten Asen und Wanen eher positiv besetzt ist, soll es heute um einige ihrer Gegner in den Ragnarök gehen – Lokis monströse Kinder, die Odin und seinen Leuten seit jeher Sorgen bereiten …
Góðan daginn liebe Nordland-Freunde,
Ein riesiger Wolf, eine gigantische Schlange und eine mächtige Totengöttin: Lokis Kinder in der Ferne klingen nicht gerade nach Spaß auf einem Familientreffen. In diesem Beitrag werfen wir einen Blick auf ihre Eigenschaften und Geschichten – und vielleicht auch darauf, ob sie tatsächlich von Anfang an bösartige Monster sind …
Fenrisúlfr (Fenriswolf)
Als Kind von Loki und der Riesin Angrboða wächst der Fenriswolf zunächst in der Welt der Riesen auf. Trotz der Tatsache, dass er permanent die Gestalt eines Wolfs hat, ist er kein einfaches Tier, sondern spricht und denkt wie andere Riesen auch. Eine weitere Besonderheit seiner Form besteht darin, dass er kontinuierlich wächst und schon bald die Größe eines gewöhnlichen Wolfs überschritten hat. Als die Götter auf Lokis Kinder bei den Riesen aufmerksam werden, fühlen sie sich bedroht und Óðinn holt sie nach Ásgarðr (Asgard), um über ihr weiteres Schicksal zu entscheiden. Um die Entwicklung des Fenriswolfs weiterhin genau beobachten zu können, entscheidet er, ihn in Ásgarðr unter den Göttern leben zu lassen. Mit dessen ausufernder Größe wächst aber auch die Furcht der Asen, die den Wolf lieber gefesselt sehen wollen als sich auf seine andauernde Freundschaft zu verlassen. So entwickeln sie ein Spiel, bei der es um das Losreißen von einer Fessel geht – sie reden dem Wolf ein, dass er seinen Mut beweise, wenn er sich schwere Ketten anlegen lässt, ohne zu wissen, ob er sich von ihnen befreien kann. Dabei sei das Zerreißen der Fesseln natürlich mit großer Anerkennung für seine Stärke verbunden. Die zwei ersten Fesseln, Läding und Droma, sind kein Hindernis für ihn, obwohl sich die Götter alle Mühe geben, möglichst schwere und unzerstörbare Ketten anzufertigen – schließlich spekulieren sie in Wahrheit darauf, den Wolf endgültig binden und somit sein Gefahrenpotenzial neutralisieren zu können. Der Wolf ist ihnen nicht feindlich gesinnt, aber über ihnen allen schwebt düster die Voraussage, dass er ihnen in der Ragnarök als Gegner gegenüberstehen wird. So lassen sie schließlich von den handwerkskundigen Zwergen die ultimative Fessel Gleipnir fertigen, die zart und harmlos erscheint und magisch aus „unmöglichen“ Dingen gefertigt ist: dem Schrittgeräusch einer Katze, dem Bart der Frau, den Sehnen des Bären, den Wurzeln der Berge, dem Speichel des Vogels und dem Atem des Fischs. Die Erklärung dafür, dass es diese Dinge nicht gibt, findet sich einfach darin, dass sie für die Fertigung von Gleipnir verbraucht wurden. Der Fenriswolf jedenfalls ist misstrauisch, da diese Fessel nicht beeindruckend ist und er für ihre Zerstörung keine Anerkennung erwarten kann. Er lässt sie sich erst anlegen, als der besonders mutige Ase Týr seine rechte Hand als Pfand in Maul des Wolfs legt. Als Gleipnir wundersamerweise auch den größten Anstrengungen des Wolfs standhält, machen die Götter ihn nicht wie versprochen los, sodass Týr seine Hand verliert. Für die Täuschung und ihren Verrat grollt der Fenriswolf den Göttern verständlicherweise, und als er sich in der Ragnarök schließlich befreien kann, verschlingt er Óðinn. Sein Sieg ist aber nur von kurzer Dauer, denn er wird gleich darauf von Víðarr, einem Sohn von Óðinn, getötet.
Letzten Endes stellt sich die Frage, ob es sich hier nicht um eine sich selbst erfüllende Prophezeiung handelt: Wäre der Fenriswolf auch zum Feind der Götter geworden, wenn sie ihn nicht gefesselt hätten, um genau das zu verhindern?
Jörmungandr (Midgardschlange)
Das zweite Kind von Angrboða und Loki, ebenfalls ein Riesenwesen in dauerhafter Tierform, wächst ebenso beunruhigend schnell wie der Fenriswolf. Daher wirft Óðinn die Schlange ins Meer, wo sie, als sie ihre volle Größe erreicht, Miðgarðr (Midgard, die Welt der Menschen) komplett umschließt und sich selbst in den Schwanz beißt. So hält sie die Welt zusammen, verborgen in den Tiefen des Ozeans. Þórr begegnet ihr drei Mal. Einmal soll er in einem Wettkampf beim Riesen Útgarðaloki dessen Katze anheben, um seine Stärke zu beweisen, schafft es aber nur fast – das ist auch gut so, denn die Katze ist tatsächlich die Midgardschlange, durch mächtige Illusionszauber verborgen, und hätte Þórr sie vollständig hochgehoben, wäre die Welt aus dem Gleichgewicht geraten. Ein weiteres Mal treffen die beiden aufeinander, als Þórr mit einem Stierkopf angelt. Die Schlange beißt an, doch in letzter Minute kappt der Angelpartner von Þórr, der Riese Hymir, die Angelleine, damit ihr Boot nicht kentert. In der Ragnarök lässt die Midgardschlange schließlich ihren Schwanz los, erhebt sich aus dem Meer und nimmt an der Schlacht teil. Þórr tötet sie nach langem Kampf, schafft es aber nicht, ihrem Giftatem zu entkommen, und stirbt nur neun Schritte von ihr entfernt.
Hel
Die Tochter von Loki und Angrboða hat im Gegensatz zu ihren beiden Geschwistern eine gewöhnlich humanoide Gestalt, allerdings ist ihr Körper nur zur Hälfte intakt und von lebendiger, rosiger Farbe, während der andere Teil verwest und leichenfarbig erscheint. Hel wird von Óðinn als Herrscherin der Totensphäre eingesetzt, die tief unter einer der drei Wurzeln der Weltenesche Yggdrasill liegt und die nach ihrer Herrin Hel oder Helheim genannt wird. Dorthin kommen alle, die an Altersschwäche oder Krankheit sterben, also nicht im Kampf, da die Gefallenen nach Valhöll (Walhall) kommen oder Freyja Gesellschaft leisten. Ertrinkt ein Mensch auf See, wird er ebenfalls nicht von Hel empfangen, sondern von Rán, die Ertrunkene mit ihrem Netz aus den Wellen zieht und in ihr Totenreich am Grund des Meeres holt. Obwohl Hel eigentlich ein neutraler Ort ist, ganz im Gegensatz zur christlichen Hölle, mit der es oft verglichen wird, beschreibt Snorri es als düsteres, kaltes Reich. Auch die Namen von Hels Gegenständen und Dienern sind mit Begriffen besetzt, die Krankheit und Tod symbolisieren, wie ihr Saal Éljúðnir (Elend) und ihr Bett (Krankenbett). Trotz ihres ungewöhnlichen Erscheinungsbilds ist auch Hel nicht grundsätzlich böse oder gar grausam, sondern begegnet den Verstorbenen mit Respekt, führt ihre Aufgabe gewissenhaft aus und lässt sich sogar dazu erweichen, Baldr eine Möglichkeit zur Rückkehr ins Leben in Aussicht zu stellen. Der Weg nach Helheim führt über die Brücke Gjallarbrú, die den Fluss Gjöll überspannt. Dieser trennt das Reich der Lebenden von dem der Toten. Auf der Brücke gibt es eine Wächterin, die Riesenkämpferin Móðguð, und nach der Brücke wird das Eingangstor nach Hel vom Hund Garm bewacht, der nur dem Profil entsprechende Tote passieren lässt. Es ist also nicht einfach, sich nach Hel zu verirren oder sich aus welchen Gründen auch immer hineinzuschmuggeln. Es gibt allerdings einige wenige Ausnahmen, in denen es einer der Götter – Óðinn persönlich, um eine tote Seherin nach der Zukunft zu fragen, und Hermóðr, um die Rückkehr seines Bruders Baldr zu erbitten - auf Sleipnir hineinschaffen. In der Ragnarök verlassen Hel und die Toten in ihrer Obhut ihr Reich, um am Kampf gegen die Götter teilzunehmen. Sie treffen mit einem Schiff, das von Loki gesteuert wird, am Schlachtfeld ein.
Obwohl Hel auch positive Eigenschaften und definitiv eine wichtige Aufgabe in der Mythologie hat, ist es in Island immer noch verboten, Kinder nach ihr zu benennen – der letzte Antrag wurde 2017 vom Namenskomitee abgelehnt. Interessanterweise ist der Name Loki hingegen für das Komitee unproblematisch.
Habt ihr unter diesen drei Wesen ein „Lieblingsmonster“ oder weitere Anmerkungen? Dann hinterlasst uns doch einfach einen Kommentar.
Verið blessuð liebe Nordland-Freunde, Euer contrastravel-Team
Kommentar schreiben
Kommentare
Keine Kommentare